Gemurmel im Hintergrund. Ihre Gäste reden von der Angst vor Kellergespenstern. Renates Gedanken driften in frühere Zeiten ab. Die Sirene heult ums Haus. Alte Bücher auf dem Speicher, ein Gesangbuch, »Bis hierher hat mich Gott gebracht…«. Tiefflieger, krachende Äste, heulender Sturm. Hinter einem kleinen Fenster, einem Ausschnitt im Dunkel, der tiefrote Himmel. Diese Erinnerungen plötzlich. Bilder, Rufen. »Mutter! Mutter!«, »Ruhe hier, was sollen denn die Kinder denken? Gehen Sie endlich wieder da hinten hin und bleiben Sie bei den anderen sitzen!
Der Winter 1946/47 war bitterkalt. Wir froren jämmerlich, hatten weder gute warme Bekleidung, noch Geld, um Kohlen zu kaufen. Wir, das waren meine Mutter, meine zwei Geschwister und ich, sechseinhalb Jahre jung. Wir waren zwei Jahre zuvor in einem in Polen noch eisigeren Winter in einem offenen Viehwaggon aus Posen geflüchtet. Dabei waren mir beide Beine bis zu den Knien erfroren. Zwei Jahre später litt ich noch immer an den Folgen dieser Erfrierungen.
Wir, meine Mutter, meine zwei Jahre jüngere Schwester (10) und ich, waren nach der Vertreibung aus unserer pommerschen Heimat im April 1946 und einer gar nicht lustigen Seefahrt von Stettin nach Travemünde auf einem ehemaligen deutschen Truppentransporter im Auffanglager Wimmersbüll bei Niebüll in Schleswig gelandet. Und bald fürchteten wir nichts so sehr, als unser weiteres Leben auf einer Sanddüne fristen zu müssen. Doch eines Tages hieß es, dass wir auf Dauer bei einer Familie im Dorf eingewiesen werden sollten.
Zu meinen Kindheitserinnerungen gehören verdunkelte Fenster, Sirenen und überstürzte Fluchten in den Luftschutzkeller. Jede harmlose Sirenenübung der Feuerwehr jagt mir noch heute einen Schauer den Rücken hinunter, weil der Ton gekoppelt ist an diese nächtlichen Vorgänge, die mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliegen. Als die Front damals näher rückte, blieb es nicht mehr bei der nächtlichen Flucht in den Luftschutzkeller. Die Bevölkerung der östlichen Gebiete Deutschlands wurde evakuiert. Das war im Februar 1945.
Räume, Orte, Menschen, Fahrzeuge, ein wirres Kaleidoskop. Immer wieder einpacken, aufbrechen. Die »Lappen Ella« an die Brust gedrückt. Ihr, der Lumpenpuppe, flüsternd Geschichten erzählen, sie aufmuntern, um die eigene Angst zu verlieren. Einer Liebe, die in all dem Chaos Sicherheit, Geborgenheit gibt, damit Angst und Schrecken, die permanente Ungeborgenheit nicht überhand nehmen, sich nicht ausbreiten, nicht lähmen oder sich in einem Gebrüll zur falschen Zeit Bahn brechen: »Um Gottes Willen Kind, sei bloß still, du bringst uns noch alle ins Grab!