Im Frühjahr 1945 kehrten wir in unser Heimatdorf zurück. Wir alle waren froh, dass das Haus noch stand. Etliche Granaten waren zwar eingeschlagen, aber das Dach war nur teilweise zerstört. Vater fand am nächsten Tag zufällig zwischen zwei zerschossenen amerikanischen Militärfahrzeugen ein paar noch gut erhaltene Autoabdeckplanen. Damit konnte er provisorisch die Löcher im Dach flicken, so dass es nicht mehr durchregnete. Meine Mutter machte sich große Sorgen, wovon wir wohl in Zukunft leben sollten.
Im Herbst 1944 hatten wir unser Dorf vor der anrückenden Front verlassen müssen und waren in den nahe gelegenen Wald gezogen. »Es ist nur für ein paar Tage«, hatte mein Vater gesagt, als wir Bretter, Balken, Bettzeug, einen Tisch, eine Kanne voll Milch, ein Säckchen Kartoffeln und einige Lebensmittel aus der Vorratskammer auf den Pferdewagen luden. »Wir bleiben hier im Wald bis die Amerikaner kommen, dann können wir wieder zurück in unser Haus«, verkündete Vater abends, als die Bretterbude fertig aufgebaut war und wir uns total erschöpft an einem kleinen Feuer wärmten.
Der November 1944 war besonders kalt und nass. Seit fast zwei Monaten hausten wir nun hier in einer Bretterbude am Waldrand, nachdem wir vor der heranrückenden Front geflüchtet waren. Es war nicht allzu weit entfernt von unserem Heimatdorf. Mein Vater war davon ausgegangen, dass wir wieder heimkehren könnten, sobald die Alliierten unser Dorf eingenommen hätten. »Heute Nachmittag«, so erzählte Vater eines Abends, als wir wieder einmal frierend am prasselnden Feuer vor unserer Behausung saßen, »habe ich deutsche Soldaten getroffen, die mir sagten, dass die Kameraden in den Westwallbunkern den Vormarsch der Amerikaner gestoppt hätten.
»Morgen gibt es die letzten Zeugnisse von mir!« verkündete Lehrer Thoma uns, der vierten Schulklasse, einige Tage vor Ostern. Nun war das Ende des Schuljahres 1944 gekommen und jetzt musste entschieden werden, wer zum Gymnasium ging oder nicht. Ich hatte schon einige Monate vorher heimlich bei meiner Mutter mal nachgefragt, ob ich, wenn das Zeugnis gut wäre, auf die höhere Schule gehen dürfte. Mit meinem Vater darüber zu sprechen, traute ich mich nicht.
Meine Eltern hatten eine kleine Landwirtschaft im Dorf. Vater war vom Militärdienst freigestellt. Er musste dafür in den Kriegsjahren täglich mit Pferd und Wagen in mehreren Dörfern die Milch bei den Bauern abholen und zur Molkerei fahren. Meistens kam er erst am späten Nachmittag nach Hause, sodass meine Mutter viele Arbeiten im Stall und auf dem Feld alleine verrichten musste. Daneben hatte sie noch uns vier Kinder zu versorgen. Als ihr dann im Herbst 1943 eine junge Russin als Hilfe zugeteilt wurde, war das für sie eine spürbare Erleichterung.