In jener Nacht im März 1942, als unsere Mutter mich wach rüttelt, fliegen bereits britische Bomberverbände das Ruhrgebiet an. »Los Lore, aufstehen. Jeden Moment kann es Fliegeralarm geben. Im Radio ist bereits Feindeinflug gemeldet worden. Steh auf!« »Ach, lass mich doch schlafen. Vielleicht gibt es ja gar keinen Alarm!« Ich dreh mich wieder auf die Seite. Mama wird ärgerlich: »Los, raus aus den Federn!« Sie zieht das Oberbett weg und ich rolle mich verdrießlich im Trainingsanzug aus dem Bett.
Der Krieg hielt dich in seinen Klauen. Ich, dein Töchterchen, wuchs in Mutters Großfamilie auf. Ich vermisste dich nicht, weil ich dich nicht kannte. Mutter hatte viele Brüder, alles meine Onkel, die ständig um mich herum waren. Dann kamst du unverhofft auf Fronturlaub. Freudig rief Mutter: »Anne, dein Papa ist da!« Schüchtern reichte ich dir meine kleine Hand und hauchte: “Onkel Papa”. Du warst geschockt, enttäuscht. Ich hatte dir sehr weh getan,
Helmut beugte sich über seinen alten, zerkratzten Schreibtisch, auf dem sich abgegriffene Bücher, Kladden und Alben türmten. Seine Hände, übersät mit braunen Flecken und hervortretenden dunklen Adersträngen, umfassten zitternd ein großes vergilbtes Foto. »1924«, brummelte er. »Was war 1924, Opa?« Schwerfällig sank Helmut auf den gepolsterten Stuhl und seufzte. Er hatte seinen zwölfjährigen Urenkel Kai, der ihm mit verwuscheltem hellblondem Haarschopf im Schlafanzug gegenüber saß, für eine Weile vergessen. Nun blickte er ihn zwinkernd an.