Monsieur Viktor

Freundschaft zwischen einem deutschen Mädchen und einem französischen Kriegsgefangenen.

Der Krieg führte uns zusammen,
dich, den gefangenen französischen Offizier,
der freiwillig bei meinem Großvater Dienst tat,
und mich, das kleine deutsche Mädchen.
In deinem Herzen brannte die Sehnsucht
nach Heimat und Familie,
in meinem die nach dem gefallenen Vater.
Wir ergänzten uns gegenseitig.
Du reichtest mir deine väterliche Hand,
stilltest meinen Wissensdurst.
Ich belohnte dich mit frischem Kinderlachen
und kindlicher Unbefangenheit.
Zärtlich nanntest du mich: »Bebe«,
und ich dich liebevoll: »Monsieur Viktor«. Jeden Sonntag erwartete ich dich ungeduldig
an dem großen Tor unserer Hofeinfahrt.
Vertrauensvoll legte ich meine kleine
Kinderhand in deine große Männerhand.
Fröhlich spazierten wir
über duftende Wiesen und Felder.
Die Feld-, Wald-, Wiesendüfte
betörten mich schon als Kind.
Lag es vielleicht an dir?
Voller Begeisterung erklärtest du mir
die Wunder der Natur.
Den Arm voller Wiesenblumen,
sangen wir lauthals
deine und meine Kinderlieder.
Flogen die Schwalben über unsere Köpfe,
warst du fest davon überzeugt,
dass sie dir Grüße aus Frankreich brächten.
Später habe ich so gedacht.

Ah, wie roch es gut,
wenn wir heimlich Froschschenkel brieten
und dazu frischen Löwenzahnsalat aßen.
Körbeweise sammelten wir Beeren,
damit du deinen Wein ansetzen konntest,
darin warst du ein Spezialist, eben ein Franzose.
Stets ließest du mich das erste Glas
des jungen Weines kosten.
Du schenktest mir, trotz Kriegswirren,
eine wunderbare, unvergessene Zeit.

Es folgte das Kriegsende.
Tränen der Freude und des Abschiedes flossen.
»Komm zurück, bitte, komm zurück«, flehte ich dich an.
Du nicktest stumm mit tränenfeuchten Augen
und strichst mir zärtlich über die Wange.
Es folgen Jahre des Schweigens.
Du fehltest mir sehr.
Irgendwann kam ein Lebenszeichen von dir.
Irgendwann machte ich mich auf die Suche.
Irgendwann fand ich dich,—-
auf dem Friedhof in Besancon.
Alle Erinnerungen wurden an deinem Grabe wach.
Da waren wieder die Geschichten
vom bunten Papillon,
von der kleinen Marionette Margot,
von dem fliegenden Parapluie.

Fini -

Sicher hättest du mir jetzt
liebend gern deine Heimat gezeigt.
Nun musste ich sie alleine erforschen.
Ich begann damit auf dem Kopfsteinpflaster
der Zitadelle von Besancon.
Hier war ich mir ganz sicher,
in deine Fußstapfen zu treten,
Monsieur Viktor.

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