Die Butterfront

Piloten im Kampf um Berlin. Von Hans Fillbrandt.

Ich war gerade 17 Jahre alt. In der Kleinstadt mit ihren 3000 Einwohnern in der Nähe von Danzig, in der ich aufgewachsen war, lebten wir wie in einer Dorfgemeinschaft. Wir kannten uns fast alle. Der Krieg nahm immer mehr an Härte und Brutalität zu. Menschenmaterial wurde an der Kriegsfront verheizt. Die Blüte der Jugend wurde im viel zu frühen Alter im Kampf für das Vaterland gefordert. Der größte Teil der Jugend wurde zur Infanterie oder Waffen SS einberufen.

An der Zahl der immer öfter in unserem Ort eintreffenden Vermissten-, Verwundeten- und Gefallenenmeldungen konnte man sich ein Bild über den äußerst erzwungenen Kampfeinsatz machen. Die deutsche Wochenschau trug noch einiges dazu bei. Durch Gespräche mit Soldaten (Heimaturlaubern, Verwandten, Brüder) war auch eine Vorstellung darüber vorhanden, welche Strapazen und unsagbare Leiden hauptsächlich die Infanteristen durchzumachen hatten. Es gingen viele Gedanken durch meinen Kopf und ich kam zu dem Entschluss, nicht bis zur Einberufung zur Infanterie oder Waffen SS zu warten. Ich meldete mich freiwillig zur Luftwaffe und sah in meinem Wunsch, Flugzeugführer zu werden, ein nicht so hartes Los im Vergleich zum Infanteristen.

Nach Prüfungen in der Fliegerannahmestelle Elbing und Königsberg war ich für eine Ausbildung zum Flugzeugführer vorgesehen. Anfang 1943 musste ich noch 3 Monate zum Reichsarbeitsdienst. Nach Ableistung des RAD kehrte ich nach Hause zu meinen Eltern zurück. Zwei Wochen später lag der Einberufungsbefehl zur Luftwaffe vor. Ich war recht froh, dass es mit der Einberufung so schnell ging, denn zu dieser Zeit erging es etlichen, die für die Luftwaffe oder Marine gemustert waren, ganz anders. Sie sahen sich in den Erdkampftruppen wieder.

Nach Einkleidung in Eger wurden wir zum Luftwaffen-Ausbildungs-Regiment nach Frankreich verlegt. Kurze Grundausbildung und Versetzung zum Fluganwärterbataillon Abt. Mante -Rosa im Raum St. Malo. Ende 1943 erfolgte die Versetzung zur Flugzeugführerschule A 115 Wels bei Linz. Nach Ausbildung zum Flugzeugführer wurde ich zum Schlachtgeschwader 104 Putow (Pommern) versetzt. Der Aufenthalt in Putow war nur von kurzer Dauer. Benzinmangel für die Flugzeuge war an der Tagesordnung. Eine Staffel (FW 190) kam noch zum Einsatz an der Ostfront.

Mitte Februar 1945 wurde das Schlachtgeschwader 104 mit der 1. Gruppe (3 Staffeln) Und der 2. Gruppe (3 Staffeln) nach Dänemark Aalborg West verlegt. Hier tat sich nur lange Weile für uns auf. Ein Gammelleben an der sogenannten Butterfront. Essen reichlich. Speck, Eier, Schinken, Torten etc. konnte man bei den Dänen kaufen. An Geld mangelte es nicht, denn der Wehrsold und die Fliegerzuschläge wurden in dänischen Kronen ausbezahlt.

Im Gegensatz zum reichlichen Essen hatten wir aber kein Flugbenzin, um unsere Flugzeuge zu fliegen. Durch Auflösung anderer fliegender Verbände kamen noch Versetzungen von Flugzeugführern zum Schlachtgeschwader 104 hinzu. Die Staffeln (6 an der Zahl) hatten inzwischen je Staffel mehr als 100 Flugzeugführer erreicht.

So konnte es wohl nicht mehr lange weitergehen, zumal ein General (genannt Heldenklau) schon 1944 technisches Personal und allgemeines Truppenpersonal aus fliegenden Verbänden ausgekämmt und diese Luftwaffensoldaten der Fallschirmjägertruppe im Erdeinsatz zugeführt hatte. Der Ausfall dieser Soldaten wurde durch weibliches Personal ersetzt, die in Lehrgängen zu Flugzeugtechnikerinnen und allgemeinem Truppenpersonal geschult und eingesetzt wurden. Wir hatten inzwischen so viele Luftwaffenhelferinnen, dass wir schon das Putzlappengeschwader genannt wurden.

Wir brauchten nicht mehr lange auf einen für uns ereignisreichen Tag zu warten. Es wurde befohlen, dass alle Flugzeugführer des Geschwaders in der Flugzeughalle anzutreten haben. Wir begaben uns mit sehr gemischten Gefühlen dorthin. Was sollte mit uns geschehen? Die Vermutung, dass eine Verlegung mit Flugzeugen nach Deutschland erfolgen könnte, war so gut wie ausgeschlossen, denn wir konnten auf Grund von Benzinmangel die Flugzeuge kaum bewegen. Die Frontlage und das restliche Trümmerfeld Deutschland ließ dieses auch nicht zu. In der Halle waren ca. 1000 Flugzeugführer angetreten.

Es wurde ein geheimer Aufruf von Reichsmarschall Göring verlesen, der die Flugzeugführer aufforderte, sich für einen geheimen Einsatz freiwillig zu melden, von dem es möglicherweise kein Zurück geben würde.

Wer sich melden oder nicht melden wollte, hatte ein Formular zu unterschreiben. Freiwillige hatten ein Testament zu machen. Bei dieser Bekanntgabe über ein Selbstopfer-Unternehmen hatte wohl jeder mit sich selbst zu kämpfen. Konnte überhaupt zu dieser Stunde, als die Amerikaner über den Rhein vorgestoßen waren, die Russen startbereit waren, um auf Berlin vorzustoßen, im Süden die Front zusammengebrochen war, die Deutsche Luftwaffe fast vernichtet war, Industrie und Städte in Schutt und Asche lagen, noch der Mut aufgebracht werden, sich für einen Totaleinsatz mit Opferung des Lebens zu melden?

Wer wollte aber als feiger Soldat abgestempelt werden? Der geleistete Eid als Soldat hatte wohl auch seine Berücksichtigung bei den meisten Flugzeugführern gefunden, sich freiwillig zu melden. Ein Kamerad, der sich nicht freiwillig melden wollte, sagte zu mir, dass er den Tod durch Selbstopferung nicht gegenüber seinen Eltern verantworten könnte. Es war denen, die sich nicht freiwillig meldeten, wohl bewusst, dass eine Abschiebung zur Infanterie bevorstand.

Inzwischen kamen Parolen auf, dass bereits Selbstaufopfer-Kommandos eingesetzt worden waren. Flugzeugführer, die sich mit Sprengstoff beladenen Flugzeugen auf besonders wichtige Ziele zu stürzen hatten und Rammjäger, die feindliche Bombenflieger zu rammen hatten. Später hat sich erwiesen, das die Parolen der Wahrheit entsprachen.

Wir verblieben weiter in Wartestellung. Ganz überraschend war die Wahrheit durchgesickert, dass die für ein Selbstopfer-Unternehmen geforderte hohe Anzahl an Flugzeugen nicht zur Verfügung stand, sondern nur eine geringe Anzahl an Flugzeugen gestellt werden konnte.

Kurz danach kam dann der Befehl an das SG 104 zum Erdeinsatz im Großraum Berlin. Nun ging es bei uns sehr hektisch zu. Es musste uns erst klar gemacht werden, dass wir keine Luftwaffensoldaten mehr seien, sondern Infanteristen. Wir konnten auch für einen Erdeinsatz nicht richtig ausgerüstet werden. Modernes Waffengerät und Material waren nicht vorhanden.

Schlechte Bekleidung, abgetragenes Schuhzeug wurde ausgegeben. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass wir im Erdeinsatz ungeübt waren. Am 11.04.1945 verließen wir mit dem Güterzug (Stärke 1.200 Mann), Aalborg West in Richtung Ostfront. Auf dem Flugplatz Aalborg waren Dänen beschäftigt und so konnte unsere Verlegung nicht geheim bleiben. Der dänische Widerstand hatte davon Kenntnis bekommen. Es kam zu Sabotageakten an den Gleisanlagen und wir benötigten 3 Tage bis zur deutschen Grenze. 3 weitere Tage Bahnfahrt dann noch bis in Nähe der Ostfront. (Großraum Berlin) Das Schlachtgeschwader 104 wurde in Luftwaffen-Regiment 6 umbenannt. Die Führung des Rgt. (1. und 2. Bataillon) übernahm ein Oberst von den Fallschirmjägern. Die russische Armee hatte bereits die Offensive auf Berlin begonnen. Wir wurden kurzerhand in den Einsatz geschickt, um die Russen aufzuhalten. Die Frage war aber, wie wir mit unseren Waffen, (zum Teil Gewehre aus dem 1. Weltkrieg, knapp an Munition, keine Granatwerfer), durchhalten sollten. Diese Frage beantwortete sich sehr schnell, denn das 1. Bataillon (3 Kompanien) wurde innerhalb von 2 Tagen aufgerieben. Das 2. Bataillon (3 Kompanien) hielt am Pinow-Kanal und Hohenzollern-Kanal, 8 Tage den Russen stand. Nach Rückzug und einem sinnlosen Gegenangriff über flaches, offenes Gelände im Feuer von Artillerie, Flugzeugen und russischer Infanterie, wurde es ebenfalls aufgerieben.

Von den 1200 eingesetzten Soldaten sind leider ca. 800 Soldaten, darunter viele junge Flugzeugführer, nicht aus dem Krieg zurückgekehrt.

Itzehoe, den 16.11.1997

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