Ländliche Idylle '30

1938: Anschluss Österreichs

Eltbogen ist schon lange überfällig,
die Meisterin lugt oft besorgt zum Fenster,
weils Abend wird und sich das Wirtshaus füllt
und bald die Tagediebe trunken ausspeit.
Die wohlfeil für drin ausgebrachte Runden,
ihr Mütchen vor dem Judenhaus zu kühlen,
Eltbogen ihr “Juda, verrecke!” schreien.
Der Lehrling sieht vom Dachfenster die Kumpel
vom Fußballplatz, vom Samstagskorso wieder,
erkennt die heisern Stimmen auch im Dunkeln,
für die der neue Sport einfach Gaudee ist,
den noch dazu Anstifter gut bezahlen,
Großkopferte wie Arzt, Kaufmann und Lehrer,
seit Anschluss große Gauredner der Nazis.
Frau Eltbogen und ihre Judentöchter,
sind hilflos, wenn der Meister einmal ausbleibt,
dazu ein Lehrling, arisch und kaum achtzehn,
den nichts besticht als mittags gutes Essen,
und ein Sinn für Gerechtigkeit, der sagt,
sie sind doch Menschen, ganz so wie die andern,
nur eben samstags in der Synagoge,
statt sonntags in der Messe und im Wirtshaus.
Doch Meister Eltbogen war dort gelitten
noch kurz vorm Anschluss, Vizekommandant auch,
der Feuerwehr, und am Paraderock die Orden,
die wohlverdienten aus dem ersten Weltkrieg,
den damals ohne Ordnungszahl gezählten.
Die hängen jetzt am Glas der Ladentür,
stumm protestierend bei der Hetzeraufschrift,
dem hingekalkten Trotz “Kauft nicht beim Juden!”,
den außen die SA davorgepflanzt hat.
Und immer noch kommt nicht und nicht der Meister,
mit dem die Buben anzubinden scheuen
nach seinem Spruch: “Ein Hund, der bellt, der beißt nicht!”
Doch Steine, wenn sie anfingen zu werfen,
wie anderwärts, wies heißt, schon lange Brauch ist,
kaputt die Scheiben, niemand wehrte es ihnen.
Der Dorfgendarm ist auch ein Märzgefall’ner,
der nolens volens Hakenkreuz geflaggt hat,
seit’s im Gemeindeamt allein den Ton angibt.
Wo ist er heute liefern hin, nach Mechters?
Oder noch weiter, hinter Böheimkirchen?
Der Lehrling kennt den Bauernhof, die Route,
war auf Montage mit im Schlosseranzug.
Am Land die Leute ordern tapfer weiter,
lassen sich neue Küchenöfen setzen
von Eltbogen, wie eh und je der Brauch war,
vielleicht jedoch mit einer kleinen Hoffnung,
die Schuld dem Juden länger stehn zu lassen,
kann man zur Not doch mit der Rasse drohen nun.
Und wenns so ist - warum nicht gleich erschlagen?
Und Eltbogen, der Meister, ist noch stolz drauf!
Statt einzusehen, dass auch Treue schadet,
beim Gauredner, dem zweiten Lieferanten
im Dorf und seinem schärfsten Konkurrenten.
Fährt mit dem Fahrrad nächtens durch die Gegend
zu Kunden, als ob tiefster Friede wäre,
am Land die Lage noch so sicher wie vor Jahren,
ein Bombenanschlag hier und da, und s’ hat sich.
Jetzt aber braucht ihm nur wer aufzulauern,
ihn sich vom Rad zu holen, ihn verprügeln.
Selbst wenn sie Anzeige entgegennehmen
von einem Juden: nachgehn wird ihr keiner.
Es ist so ruhig draußen, recht verdächtig.
Der Meister sollte längst schon wieder da sein,
er ist ja sonst ein Sprinter mit dem Fahrrad.
Und nichts beruhigt Meisterin und Töchter,
auch wenn der Lehrling meint, von denen niemand
könnt auch nur wissen, wo der Meister unterwegs ist.
“Und wenn - zum Beispiel nur - du dich verschnappt hast
nach Feierabend, bei der Fußballmannschaft?”
erwacht nun in der Eltbogin der Argwohn,
“Oder der Bauer, der bestellt hat, dann im Wirtshaus?
Geh, nimm dein Radl! Fahr ihm halt entgegen!
Nachts unterwegs, da kann so leicht was g’schehen
Ein Radler noch dazu ist völlig hilflos,
wenn unterwegs ihn irgendwer wo abpasst!”
Um Mitternacht zieht ab die Schar der Zecher
lustlos noch ihr “Verrecke!” intonierend,
das fad wird, wenn es kein Pogrom begleitet.
Der Meister ist noch immer überfällig,
der Lehrling nicht zurück: was kann passiert sein?
“Am besten wärs schon, wenn ers G’werb gleich aufgibt,
Auf einem grünen Zweig kommt er jetzt eh nicht.
Grad dass die Konkurrenten auf ihn hetzen,
weil er ein Schlossermeister und ein Jud’ ist!”
Und wenn ihm Gott behüte was passiert ist,
sie könnt’s nicht weiterführen ohne Hilfe.
“Wo willst denn hin nachher, und wovon leben?”
greint gleich die ält’re Tochter, die gelähmte,
die es auch so schon schwer genug gehabt hätt.
Der Lehrbub bringt sie mit der Scheibtruh’ in die Schule,
die Gottseidank nicht weit den Berg hinauf steht.
Und Gottseidank, um halb eins rappelts draußen,
der Lehrbub stellt die Räder ein, der Meister
tritt ein und grüßt die Seinen ganz verlegen,
hat keine Nazi-Gräuel zu vermelden.
Im Gegenteil: man hat ihn gut bewirtet
und reichlich nachgeschenkt, er ist ja standfest.
Ein Gläschen mehr kann auch sehr leicht passieren,
kommt man mit Freunden ins Politisieren,
und es wird spät, bis man dann endlich aufbricht.
Der Bauer hat ihm Mut gemacht, es werde
doch nie so heiß gegessen wie gekocht wird,
dass auf die Nachbarschaft genug Verlass sei,
und drum kein Grund, vielleicht zu emigrieren.
Doch auf die Nacht nicht, wenn man einen Schwips hat,
da drohen Schlaglöcher und Straßengräben,
ein Sturz zieht ihm das Rad dann aus dem Rennen,
mit einem Mordstrumm Achter, dass er aufgibt.
Und statt zu fahren, hat er es geschultert,
und heimgetragen, bis ihm dann der Lehrling
entgegenkam und ihm geholfen hat
zu Fuß, und deshalb ists so spät geworden.
An diesen Abend werden sie noch denken
vom Viehwaggon aus, vom Transport nach Auschwitz,
als Schirach Wien für judenrein erklärt hat,
weil auch im Ghetto, wo man schließlich hinzog,
die letzte Wohnung endlich arisiert war,
an diesen Abend und ans Anschlussjahr
als einer Zeit noch der Geborgenheit:
kein Darben, reine ländliche Idylle.

Anmerkung

Die Ballade beruht auf einer Erzählung von Alois Eders Vater, der 1938 Lehrling bei dem jüdischen Schlossermeister Eltbogen auf dem Land in Niederösterreich war.

Glossar

Gaudee:
österreichische Nebenform von Gaudi
Märzgefallener:
Opportunist, der im März nach dem Anschluss Österreichs Parteimitglied der NSDAP wird.
Scheibtruhe:
Schubkarren
Mordstrumm Achter:
** arger Defekt an der Fahrradfelge
Soziale Plastik. Die Kunst der Allmende

Zum 30. Todestag von Joseph Beuys.

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