Bachabkehr ist sonst nur einmal im Jahr,
ein Fressen für Anrainer, zappelnde Fische
auf plötzlicher Ebbe im Bett des Mühlbachs,
man braucht sie nur zu greifen.
Eine Woche steht still die Kette der Mühlen,
in hohen Stiefeln waten die Fischer.
Bachabkehr, die Kette der Mühlen steht still,
man greift sich die Müllner, die zusammengerottet
versucht haben, eine Brücke zu halten,
als der Bürgerkrieg schon verloren war.
Geflohen dann, die Dämme entlang,
sich der Waffen entledigt.
Die fallenden Wasser bergen dann nicht mehr
Helm und Gewehr, zu Stößen getrieben
vor Rechen und Wehren, in Schrebergärten
spürt man versprengte Fische auf,
versteckt und mit schreckgeweiteten Augen,
man greift sie: kaum dass sie um sich schlagen.
Wohlfahrter ist tot, der Lehrer, man jagt sein Gefolge,
das er Recht Recht und Unrecht Unrecht
zu nennen gelehrt hat im Werkswohnungskohldunst,
gestorben am Misserfolg der Revolte,
die blecherne Lampe zittert noch nach,
Widerhall des Schusses aus eigener Waffe.
Bachabkehr, trocken liegen die Bäche,
kein Vorstadtbub trauert dem Lehrer nach,
sie lauern auf übersehene Waffen und Fische.
Auf den Gusseisentrümmern der Abfallhalden
den Fluss entlang klingts ihm wie rostige Glocken nach,
wenn wie Treiber die Treiber dran schlagen.
Und dann ebbt die Jagd ab,
vereinsamt die Wehre und Rechen.
Bachabkehr, da werden die Fische handzahm
und schnappen nach Luft, trocken liegen die Bäche,
und wäre nicht Winter, da all das geschieht,
empfänden zum Mindesten die Badenden Freude
über den ungewohnten Schwall Wasser im Flussbett.
Anmerkung
Die Ballade beruht auf einer Erzählung von Alois Eders Vater. Sie behandelt den Arbeiteraufstand vom Februar 1934 , bei dem der österreichische Schutzbund zuletzt noch von den Vorstädten aus die von den Heimwehren verteidigte Traisenbrücke zum Stadtkern angegriffen hatte, ehe die Revolte zusammenbrach.
Bei einer Bachabkehr werden die Mühlbäche, die den Traisenfluß rechts und links begleiten, trockengelegt, damit man die Uferdämme inspizieren und bei Bedarf ausbessern kann.
Alois Eder über den historischen Hintergrund
Der Aufstand des republikanischen Schutzbunds als des bewaffneten Arms der Sozialdemokraten gegen das autoritäre Regime Dollfuß, das 1933 die erste Republik Österreich abgelöst hatte, brach durch Provokationen der bürgerlichen Heimwehr am 12. Februar 1934 nach einer Waffensuche im sozialdemokratischen Parteiheim in Linz aus. Die härtesten Kämpfe gab es in den Wiener Arbeiterbezirken (Floridsdorf), aber auch in den Bundesländern und in Industriegebieten wie im Traisental. In St. Pölten begannen die Kämpfe rund ums Parteiheim in der Kranzbichlerstraße (z. B. geschildert in Ilse Leitenbergers Roman “Kinderhaus bürgerlich”). Schießereien an der Traisenbrücke am Osteingang zur Innenstadt dürften das letzte Aufbäumen am dritten Aufstandstag gewesen sein - meinem Vater zufolge hat der Schutzbundkommandant Wohlfahrter, sein Schuldirektor im Vorort Stattersdorf, Selbstmord begangen, es gibt aber auch andere Theorien. Dass die vierzehnjährigen Buben dann bei einer außertourlichen Bachabkehr weggeworfene Schutzbund-Waffen in den Mühlbächen gefunden oder noch vor der Polizei beiseitegebracht haben, hat er mir erzählt.